[von Anastasia Byrka] Bereits zum 16. Mal versammelt das Deutsch-Russische Medienforum Journalisten und Medienexperten aus deutsch- und russischsprachigen Ländern. Über 40 Medienleute sind in diesem Jahr aus Deutschland, Österreich, Kasachstan und Russland in die russische Stadt Woronesch gekommen, um sich mit dem Thema „Moderner Journalismus und Fact-Checking” auseinanderzusetzen.
Was genau versteht man unter dem Begriff „Faktencheck”? In der Regel steht das „Checken“ von Fakten in der journalistischen Arbeit an erster Stelle – Fakten, auf die sich der jeweilige Text stützt, müssen zunächst überprüft werden. Eigentlich ist das nichts Neues, selbst Medienstudenten des ersten Studienjahres wissen das – sie lernen quasi das Sprichwort „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ gleich in der ersten Vorlesung. Es scheint, dass dieser Begriff momentan in Mode gekommen ist. Oder spricht man eventuell zunehmend darüber, weil viele heutige Journalisten und Blogger immer seltener Fakten prüfen, bevor sie ihre Artikel oder Posts schreiben?
Mit diesen und weiteren Fragen begann am 28. November das jährliche Medienforum, das im Hauptgebäude der Staatlichen Universität Woronesch noch bis zum 30. November abgehalten wird. Hier tauschen Journalisten Berufserfahrungen aus und betrachten das aktuelle Thema der Faktennutzung in der neuen, immer digitaler werdenden Realität.
Faktencheck und die Probleme damit
„Das Faktenchecken ist eine Notwendigkeit, aber kein Allheilmittel gegen Propaganda oder eine Waffe dagegen. Leser, Zuschauer und Zuhörer sowie Journalisten und Blogger brauchen einfaches Basiswissen und gut recherchierte Fakten. Diese werden den Menschen helfen, weniger allgemeine Quellen zu konsumieren, sondern mehr auf wissenschaftliche Vorlagen, zum Beispiel auf Bücher, zurückzugreifen”, bemerkte Egor Korolev, Kommentator der Zeitung Petersburger Tagebuch («Петербургский дневник»), der Zeitschrift Journalist («Журналист») und Dozent am Lehrstuhl für digitale Medienkommunikation der Staatlichen Universität St. Petersburg.
Darüber hinaus versuchen die Medienexperten auf dem Forum eine Einsicht zu bekommen, warum heute ein Problem des Faktenabgleichs überhaupt existiert. Hierzu brachte Prof. Dr. habil. Vladimir Tulupov, Leiter des Lehrstuhls für Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Design und Dekan der journalistischen Fakultät der Staatlichen Universität Woronesch, sowie Herausgeber von über 500 wissenschaftlichen Arbeiten und zahlreichen Lehrbüchern, einen interessanten Gedanken ein:
„Das Problem besteht in der Digitalisierung. Früher, als ich Student war und bei einer Zeitung zu arbeiten anfing, schrieb ich meine Texte mit der Hand. Anschließend las ein Schlussredakteur meine Arbeit, danach ein Chef-Redakteur und am Ende noch ein Lektor. Doch damit nicht genug! Es gab in der Redaktion auch einen Mitarbeiter, einen Journalisten natürlich, der mit einem „frischen Auge” den Artikel erneut durchlas. Zum Schluss waren wieder die Redakteure dran. Und alle diese Leute brachten Korrekturen an, fanden Fehler und machten Anmerkungen. So gab es eine Art mehrstufige Kontrolle. Heute ist diese Vorgehensweise verloren gegangen, und darunter leiden wir alle,“ so Tulupov.
Mangelnder Faktencheck aus Zeitdruck?
Die Journalisten des Forums stimmten zu, dass es vor 50 Jahren fast keine Fehler in den Veröffentlichungen gegeben hatte, außer absichtlichen, natürlich. Jemand erinnerte sich an den Korrekturprozess, der noch – Silbe für Silbe durchgehend – in einem ruhigen Zimmer stattfand und bei dem die Rechtschreibprüfung ohne Zweifel besser funktioniert hatte. Heute teilen sich viele Journalisten und Redakteure ein Großraumbüro, in welchem sie telefonieren, miteinander reden und gleichzeitig schreiben. Korrigiert werden sie – von Maschinen.
Amelie Marie Weber aus Berlin führte an, dass beim FOCUS Magazin, wo sie als Volontärin im Politik- und Wirtschaftsressort arbeitet, bis heute noch mehrstufige Korrekturschritte existierten, bei denen die Texte von drei oder vier Redakteuren gegengelesen werden. Für Amelie Marie ist dies ein essenzielles Merkmal in ihrer Arbeit.
Was die Frage des Medienbewusstseins angeht erklärte eine Journalistin aus Bonn, dass jeder nur eine Seite zeigt. Jeder kann aber auch alternative Meinungen und Überzeugungen publizieren. Aber die Verantwortung für das Geschriebene trägt der Journalist. Und genau das ist der Punkt. Wir erschaffen eine Realität. Und dafür müssen wir die Verantwortung tragen, so die Journalistin.
Übrigens gibt es bei der TASS – einer Nachrichtenagentur in Russland – einen Mechanismus, um Fehler zu umgehen. Sie kreierte ein Rating von Journalisten, die Fehler machen. Je mehr Fehler ein Journalist macht, desto weniger wird er prämiert und desto näher rückt seine Entlassung.
Um Fehler im Faktencheck zu vermeiden, schlug Eva Steinmann, eine Journalistin des ARD in Hamburg, vor, Meldungen externer Quellen von beiden Seiten zu betrachten. So könne man Fehler erkennen und auch, ob es sich um Flüchtigkeitsfehler oder sogar vorsätzliche Fake-News handele. „Und gerade das macht den Unterschied“, fügte sie hinzu.
Das Thema einer Diskussion am Ende des ersten Forumtages war Medienkompetenz. Eine Studentin der Nationalen Forschungsuniversität Higher School of Economics in Moskau, Anastasiya Komarova, sagte: „Um Medienbewusstsein zu bilden, müssen wir uns nicht auf einzelne Schulen oder Universitäten konzentrieren, um die Schüler und Studenten darin zu unterrichten, was Medienbewusstsein eigentlich ist und wie man damit umgeht, sondern wir sollten globale, forschungswissenschaftliche Kompetenzen entwickeln, rednerische Fähigkeiten ausbilden und Debatten führen. Und das nicht nur im Medienraum.“
Fotos: Copyright (2019) Russland.news