Der 8. / 9. Mai wird in vielen Ländern weltweit als Tag des Sieges und als Befreiung vom Nationalsozialismus gefeiert. Diesem mit unbeschreiblichem Leid und allein in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit 27 Millionen Opfern hart erkämpftem Sieg über ein menschenverachtendes System wird auch 75 Jahre später Generationen übergreifend intensiv gedacht.
Darin liegt besonders für jüngere Generationen eine wertvolle Chance: Das gemeinsame Gedenken kann wie ein Katalysator zur wachsamen Abwehr von Wiederholungsgefahren wirken. Zugleich variieren von Land zu Land die Schwerpunkte des tradierten Gedenkens. Daher stellt sich die Herausforderung: Wie könnte für die jüngeren Generationen in Russland und Deutschland eine gemeinsame Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg gestaltet werden? Wie kann ihr Blick für eine gemeinsame Zukunftsverantwortung geschärft werden?
Am Gespräch unter der Leitung von Kerstin Hilt (MDR) nahmen teil:
- Prof Prof. Dr. Irina Scherbakowa, Vorsitzende des Rates des Wissenschafts-, Informations- und Bildungszentrums „Memorial“, Preisträgerin der Goethe Medaille in 2017
- Prof. Dr. Pavel Polian, Direktor des Mandelstam Zentrums, HSE Moskau
- Dr. Kristiane Janeke, Historikerin, Ausstellungskuratorin, Berlin/Moskau/Minsk, Tradicia History Service
- Arina Nemkowa, Leiterin der Stiftung zur Förderung und Entwicklung deutsch-russischer Beziehungen „Deutsch-Russisches Begegnungszentrum“, St. Petersburg
Nach einleitenden Worten des geschäftsführenden Vorstands des Deutsch-Russischen Forum e.V. Martin Hoffmann und des Deutschen Botschafters in Moskau Dr. Andreas Géza von Geyr, der auf die „gemeinsame Zukunftsverantwortung der jungen Generation“ hinwies, sprachen die Diskutanten vertieft über Fragen des offiziellen und institutionellen Gedenkens in Russland und Deutschland. Hierbei wurde sowohl von Prof. Dr. Polian als auch von Prof. Dr. Scherbakowa darauf hingewiesen, dass Geschichte nicht zu politischen Zwecken instrumentalisiert werden darf. „Junge Menschen spüren, dass man die Geschichte missbraucht, um etwas mit ihnen zu machen. Das geschieht beispielsweise in der Neuen Rechten in Deutschland, aber auch in Russland“, sagte Scherbakowa. Nur mit einer ehrlichen und nüchternen Geschichtserzählung könne man gewährleisten, dass sich junge Menschen weiterhin ausreichend mit der Thematik des Zweiten Weltkrieges und seiner Bedeutung für die Gegenwart auseinandersetzen.
Ein weiterer Schwerpunkt des Gesprächs war das Schaffen von Begegnungsmöglichkeiten für die jüngere Generation mit dem Themenfeld Zweiter Weltkrieg. Dabei betonte Dr. Janeke, wie wichtig es sei, dass gerade junge Deutsche nicht nur die Orte des Zweiten Weltkrieges in Deutschland, sondern auch ehemalige Kriegsschauplätze in Osteuropa besuchten, um ein größeres Bewusstsein für die dort begangenen Gräueltaten und die dadurch verursachten Schäden herzustellen. Nemkowa ergänzte, dass die Begegnung mit Zeitzeugen, wie sie beispielsweise im Projekt „Humanitäre Geste“ realisiert werden, eine gute Möglichkeit für junge Deutsche sei, um „mit dem Thema in Kontakt zu kommen“ und „ein wichtigen Schritt der Toleranz und Akzeptanz seitens der Opfer des Zweiten Weltkrieges darstellen.“