[von Alexander Rahr]
Der diesjährige Petersburger Dialog – im Hotel „Ukraina“ in Moskau – erhitzte die Gemüter. Ein erboster russischer Abgeordneter sprach von einer in dieser Schärfe noch nie da gewesenen Konfrontation. Ihm und weiteren russischen Teilnehmern missfiel, dass ihre deutschen Kollegen ihnen „Lügen“ im Fall des Krieges in der Ostukraine, in der Affäre um den vergifteten Ex-Spion Skripal und bezüglich der Cyberattacken auf westliche Regierungseinrichtungen vorwarfen.
Die russischen Teilnehmer erschienen mit einer versöhnlichen Grundhaltung zum Dialog: Man müsse die Ukraine vergessen und zur Tagesordnung übergehen, Sanktionen aufheben und die Krim endlich als Teil Russlands anerkennen. Der Präsidentenberater Michail Schwedkoj schwang einen versöhnlichen Ton ein: Ihr Deutschen könnt weiterhin von einer Krim-Annexion sprechen. Wir Russen sprechen von unserer historischen Wiedervereinigung. Freunde können wir trotzdem sein.
Es waren die Russen, die eine Rückkehr der Bundeskanzlerin und des russischen Präsidenten in den Petersburger Dialog forderten, so wie es vor der Ukraine-Krise der Fall gewesen war. Auf dem nächsten Dialog in Düsseldorf will man nicht nur den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet begrüßen, sondern auch Merkel und Putin. Im Saal gab es freudiges Klatschen, als Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier für den Fortbestand der Energiepartnerschaft mit Russland plädierte.
Während es in den Arbeitskreisen Politik und Zivilgesellschaft erwartungsgemäß zu Streitigkeiten kam, feierten die restlichen 8 Arbeitsgruppen Eintracht und Einvernehmen. Bis tief in die Nacht wurden in der Hotelbar hoch über den Dächern Moskaus bahnbrechende Projekte im bilateralen Verhältnis anvisiert. In den von Deutschen besetzten Sitzecken sah man Firmenvertreter, aber auch Abgeordnete der CDU, SPD, der Grünen, der Linken und zum ersten Mal der AfD.
Die AG Wirtschaft schwärmte von einer spürbaren Erwärmung des bilateralen Handels, die AG Medien lobte wachsendes Verständnis für die unterschiedliche Rolle des Journalismus in Russland und Deutschland. Die jungen Teilnehmer in der AG Zukunftswerkstatt diskutierten über das künftige Wohnen in Megastädten, die AG Kultur entwickelte Kooperationen über die bisherige Zusammenarbeit von staatlichen Museen hinaus. Enorme Fortschritte bei gemeinsamen Projekten gab es in der AG Wissenschaft. Auch die beiden frisch gegründeten AGs Soziales/Gesundheit und Umwelt strotzten vor Diskussionsfreude und die Teilnehmer der AG Religion verließen höchst angeregt ihren Sitzungsraum.
Also macht der Petersburger Dialog doch noch einen Sinn? Endlich verstummen solche Kritiker, die diese bilateralen Begegnungen vor einigen Jahren schon begraben wollten. Gott sei Dank, hat sich – trotz vieler Befürchtungen – der Petersburger Dialog nicht in eine allgemeine Kampfarena verwandelt, wo es nur noch Hauen und Stechen geben würde. Der Dialog hat das Potenzial, die festgefahrenen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu beleben und eine Normalisierung einzuleiten.
In den Hinterzimmern des Dialogs wurde mit größter Spannung über das neue SPD Papier zu Russland gesprochen. Schwenkt die SPD hier wieder auf den historischen ostpolitischen Kurs von Egon Bahr um? Die Hoffnung ist da. Jedenfalls sickerte durch, dass die SPD endlich das Wort einem gemeinsamen Raum vom Atlantik bis zum Pazifik reden und eine Kooperation zwischen der Europäischen Union und der Eurasischen Wirtschaftsunion befürworten würde – bis hin zu einer militärischen Zusammenarbeit zwischen europäischen Armeen und dem Kollektiven Sicherheitspakt ehemaliger Sowjetrepubliken.
Beim Abschied fielen ermunternde Worte. Russland setzt weiterhin auf Deutschland – als Pforte zurück nach Europa. Russland wittert seine Chance, in der europäischen Architektur wieder eine Rolle zu spielen, in Zeiten, wo sich Amerika von Europa entfernt.