Presseerklärung des Petersburger Dialogs: Wegen Nawalny und NGO-Gesetzen –  Petersburger Dialog sieht zivilgesellschaftlichen Dialog gefährdet

Presseerklärung des Petersburger Dialogs: Wegen Nawalny und NGO-Gesetzen – Petersburger Dialog sieht zivilgesellschaftlichen Dialog gefährdet

Der Beschluss bezüglich Nawalny im Wortlaut

Das Urteil gegen Alexej Nawalny widerspricht rechtsstaatlichen Prinzipien. Es fußt auf einem Urteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2017 als „willkürlich“ und als Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren eingestuft hat. Russland hat sich als Mitgliedstaat des Europarats verpflichtet, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen.

Angesichts des Urteils gegen Alexej Nawalny und der Verhaftung friedlicher Demonstrant*innen sieht die Mitgliederversammlung der deutschen Seite des Petersburger Dialogs die Grundlagen zivilgesellschaftlichen Engagements in Russland akut gefährdet. Die Mitgliederversammlung der deutschen Seite des Petersburger Dialogs fordert deshalb die russische Regierung dazu auf, Alexej Nawalny wie auch alle inhaftierten friedlichen Demonstrant*innen unverzüglich freizulassen.

Der Mitgliederversammlung der deutschen Seite des Petersburger Dialogs ist es ein Anliegen, mit der russischen Seite des Petersburger Dialogs dazu unverzüglich und auf allen Ebenen des Petersburger Dialogs gemeinsam ins Gespräch zu kommen.

Der Wortlaut der Erklärung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Arbeitsgruppe „Zivilgesellschaft“ zu den Gesetzentwürfen

Mit großer Besorgnis haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft des deutsch-russischen Forums „Petersburger Dialog“ bei ihrer Sitzung am 3. Dezember 2020 auf eine Reihe von Gesetzesentwürfen reagiert, die im November 2020 in die Staatsduma der Russischen Föderation eingebracht worden sind.

Danach sollen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die von den russischen Behörden als „ausländische Agenten“ betrachtet werden, künftig unter anderem verpflichtet sein, das Justizministerium vorab über geplante Programme und ihre Aktivitäten zu unterrichten. Das Ministerium hat die Möglichkeit, die gemeldeten Aktivitäten zu verbieten, ohne dass die Voraussetzungen für ein solches Verbot festgelegt sind. Verstößt die betroffene Organisation gegen ein ausgesprochenes Verbot, kann das Justizministerium ihre Schließung betreiben.

Ein weiterer Gesetzentwurf sieht vor, auch Organisationen, die keine juristische Person gebildet haben, und physische Personen als „ausländische Agenten“ zu registrieren. Bei physischen Personen soll das erfolgen, wenn sie – unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft – finanzielle Mittel aus dem Ausland erhalten und sich an „politischen Aktivitäten“ auf dem Territorium Russlands beteiligen oder Informationen über militärische Aktivitäten Russlands sammeln. Solche „Agenten“ sollen keinen Zugang zum öffentlichen Dienst haben und verpflichtet sein, sich in von ihnen verfassten Briefen an Behörden selbst als „ausländische Agenten“ zu bezeichnen.

Dies träfe unter anderem auf Beschäftigte von NGOs zu, die bereits als „ausländische Agenten“ registriert sind. Medien, die ihre Stellungnahmen verbreiten, wären gehalten, sie in Veröffentlichungen als „ausländische Agenten“ zu bezeichnen.

Weitere Gesetzesvorhaben schränken die Demonstrationsfreiheit weiter ein und verbieten NGOs, die als „ausländische Agenten“ registriert sind, die Finanzierung von öffentlichen Aktionen. Beabsichtigte Neuregelungen des Bildungsgesetzes sollen eine strengere staatliche Aufsicht gewährleisten und zielen darauf, alle aufklärerischen Veranstaltungen erlaubnispflichtig zu machen.

Die Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft, wie der gesamte „Petersburger Dialog“, bemüht sich um die Förderung der zwischengesellschaftlichen Zusammenarbeit Russlands und Deutschlands. Im vergangenen Jahr führte die Arbeitsgruppe trotz der Pandemie und der Verschlechterung der Beziehungen auf Regierungsebene einen intensiven Erfahrungsaustausch über die Mobilisierung von NGOs im Kampf gegen das Coronavirus durch, beschäftigte sich mit Problemen von Pflegefamilien, der Verbesserung der gesellschaftlichen Kontrolle im Gefängnissystem, der Ausbildung der Erinnerungskultur über den Sieg über den Nazismus usw.

Diese gemeinsame Arbeit hat unser Bewusstsein für die Wichtigkeit einer Vertiefung und Ausweitung der Zusammenarbeit zwischen den Strukturen der Zivilgesellschaften unserer Länder zur Stärkung gegenseitigen Vertrauens und der internationalen Sicherheit bekräftigt. Die Gesetzesvorhaben widersprechen dem Geist der zwischengesellschaftlichen Zusammenarbeit und offenbaren ein tiefes Misstrauen gegenüber der Zivilgesellschaft und der „Volksdiplomatie“. Sie rufen Zweifel an der Möglichkeit einer fruchtbaren zwischengesellschaftlichen Zusammenarbeit hervor.

Aus diesem Grund ruft die Arbeitsgruppe dazu auf, sie abzulehnen.

Der Petersburger Dialog ist ein bilaterales Gesprächsformat der Zivilgesellschaft, das sich gesellschaftlichen Zeitfragen und Fragen der deutsch-russischen Beziehungen widmen soll. Er wurde vor 20 Jahren (2001) von Wladimir Putin und Gerhard Schröder ins Leben gerufen. Deutscher Vorsitzender ist der ehemalige Bundesminister Ronald Pofalla, Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG, auf russischer Seite präsidiert Wiktor Subkow, Aufsichtsratsvorsitzender von Gazprom.