„Die Gegenwart und Zukunft Europas ist eng verbunden mit der Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen.“ So interpretierte der russische Präsident Wladimir Putin auf der Abschlusssitzung des 6. Petersburger Dialogs in Dresden das Motto der Veranstaltung „Deutschland und Russland in europäischer Verantwortung“.
In den sieben Arbeitsgruppen klang das meist anders. Immer wieder fanden sich in Diskussionsbeiträgen deutscher Teilnehmer Aussagen wie „Wir müssen Russland stärker die Werte des Westens nahe bringen“ oder „Wir müssen Russland helfen selbstbewusster zu werden“. Hinter solchen Formulierungen steckt die Überzeugung, dass das Schicksal Russlands von deutsch-europäischen Einstellungen zu Russland abhänge.
Den inzwischen dank Öl- und Gas-Milliarden sowie wachsendem internationalem Einfluss wieder selbstbewusster gewordener Russen passte das oft nicht. In russischen Wortmeldungen tauchte daher immer wieder die Frage auf, was für eine „strategische Partnerschaft“ es denn sein solle, wenn eine Seite versuche, der anderen ihre Vorstellungen aufzudrängen? „Strategische Partnerschaft“ könne nur bedeuten, das wurde in Dresden klar, dass ein Miteinander auf tatsächlich gleichberechtigter Grundlage beruhe.
Zehnmal mehr Teilnehmerwünsche
Wie ernst Deutschland und Russland ihre Verantwortung für Europa auf allen Ebenen und in allen Bereichen nehmen, sieht man daran, dass sich Putin und Merkel bereits zum fünften Mal in diesem Jahr getroffen haben. Diese Bereitschaft zum ständigen Meinungsaustauschs auf höchster Ebene war nach der Abwahl von Wolodjas Freund Gerhard so nicht unbedingt zu erwarten.
Dass der von den beiden Männern angeregte Petersburger Dialog diesen Wechsel in seiner sechsten Auflage unbeschädigt überstanden hat, er also nach wie vor zur A-Kategorie der zwischenstaatlichen Begegnungen gehört, spricht für den Stellenwert dieser Veranstaltung in beiden Ländern.
Es habe zehnmal mehr Teilnahmewünsche gegeben als letztlich berücksichtigt werden konnten, bemerkte der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses für den Petersburger Dialog, Lothar de Maisière. „Dieser Bürgerdialog hat eine Dimension erreicht, die über den bloßen Erfahrungsaustausch hinausgeht, und bringt immer mehr konkrete gemeinsame Projekte hervor“, freute sich der letzte Ministerpräsident der DDR.
Gute Beispiele dafür waren die Vereinbarung zwischen der Hörmann-Rawema GmbH Chemnitz und der Kirow-Werk AG, St. Petersburg, über Lieferung und Montage einer Gießerei wie auch die Zusammenarbeit deutscher und russischer Mediziner im gemeinsamen „Koch-Metschnikow-Forum“ zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten.
Präsident Putin würdigte ausdrücklich diese Vorhaben und forderte darüber hinaus, alle Bemühungen um eine gegenseitige Verflechtung von Unternehmen zu fördern. Den gegenwärtigen Umfang von drei Milliarden US-Dollar an deutschen Direktinvestitionen in Russland nannte er „lächerlich“ angesichts der ökonomischen Möglichkeiten beider Länder. Wie unkompliziert auch Investitionen in die Gegenrichtung funktionieren können, habe er beim Dreiergipfel in Paris mit Angela Merkel und Jaques Chirac erlebt, als Russlands Einstieg bei beim Airbus-Konzern EADS mit 10 Milliarden Dollar schon nach wenigen Stunden vereinbart wurde.
So konnte der Koordinator der AG Wirtschaft, Klaus Mangold, Vorsitzender des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft im Ergebnis der Diskussionen zu diesem Themenbereich feststellen, dass die mittelständigen Unternehmen aus Deutschland, aber zunehmend auch aus Russland, ein immer größeres Interesse an einer unmittelbaren Zusammenarbeit zeigten. Nicht zuletzt hat das dazu geführt, dass der Außenhandelsumsatz zwischen beiden Ländern auf rund 50 Mrd. Euro gewachsen ist, und damit die Hälfte des russischen Handelsvolumens mit den USA beträgt.
Die Arbeitsgruppe Wirtschaft beim Petersburger Dialog schlug vor, die Weiterbildung von Managern für russische Unternehmen durch Fortbildungskurse zu ergänzen. Der Anfang sei bereits mit den ersten zweihundert Ingenieuren aus Russland gemacht, die demnächst fuer sechs Monate nach Deutschland kommen, bestätigte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Außerdem kündigte sie an, dass im Dezember ein Mittelstandsforum in Russland zur Kooperation deutscher und russischer Unternehmen stattfindet.
Pressefreiheit hier und dort
Die wohl schärfsten Auseinandersetzungen gab es aber in der Arbeitsgruppe Medien. Waren sich deutsche und russische Vertreter bei der Verurteilung des Mordes an der Journalistin Anna Politkowskaja noch einig, stand man sich bei der Frage nach der Pressefreiheit in Russland in zum Teil vollkommen gegensätzlichen Positionen gegenüber.
Schon bei der Eröffnungspressekonferenz hatte der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses, Michail Gorbatschow, zum Thema Demokratie und Pressefreiheit erklärt, dass der Westen, vor allem die USA, von Russland verlangten, das, wozu sie selbst 200 Jahre gebraucht hätten, in 200 Tagen zu bewältigen.
Die russischen Diskussionsteilnehmer machten deutlich, dass sie in keiner Phase der russischen und sowjetischen Geschichte so ungehindert wie jetzt ihre Meinung veröffentlichen konnten, auch wenn es regional und zentral einige Vertreter der Macht gebe, die versuchten, Einfluss zu nehmen. Andererseits stellten sie an die deutschen Kollegen die Frage, ob das überwiegend negative Bild von Russland in den deutschen Medien nicht vielleicht Ausdruck einer Form von Beschränkung der Pressefreiheit sei.
Verstärkte Kontakte zwischen Journalisten beider Länder sollen nun zum besseren gegenseitigen Verstehen beizutragen. Wie notwendig das ist, bestätigte ein Bericht einer großen deutschen Tageszeitung, wonach „Gorbatschow über die Demokratie in Russland besorgt“ sei. Gegenüber russland.RU äußerte der Ex-Präsident sein Unverständnis über eine solche Berichterstattung und bat, über die Internetzeitung mitzuteilen, dass er genau das Gegenteil zum Ausdruck gebracht habe.
Jugendparlament diskutierte über Heiratsalter
Als wirkliche „Pionierarbeit“ bezeichnete Wladimir Putin die Arbeit des ersten Deutsch-Russischen Schülerparlaments, das im Rahmen des Dresdner Dialogs stattfand. Im sächsischen Landtag debattierten 52 Jugendliche aus beiden Ländern in Arbeitsgruppen und im Plenum selbst gewählte Themen. Sie reichten von Fragen zum Bau der Ostsee-Pipeline, bis zum Wehrdienst und dem unterschiedlichen Heiratsalter.
Wenn auch das Bonmot de Maisières vom „Kind Petersburger Dialog“, das nun ins schulfähige Alter gekommen sei, vielleicht etwas schief geraten ist, weil die deutsch-russische Begegnung von Jahr zu Jahr erwachsener geworden ist, ist es sicher auch noch zu früh für das Ende, das ein Teilnehmer an der Plenumsdebatte in zehn Jahren kommen sieht, wenn „Menschen aus dem einen Land in das andere ohne Passkontrollen im dann hoffentlich fertiggestellten A 380 reisen können und alle heute diskutierten Probleme gelöst sind.“
Der Dialog in Dresden hat erneut gezeigt, dass ein gemeinsamer Weg erst dann beginnen kann, wenn man sich zuvor getroffen und zusammen gefunden hat. [ ggj/hh/hub / russland.RU – die Internet – Zeitung ]