[Von Mathias v. Hofen] Der diesjährige Petersburger Dialog in Kassel war stark von Diskussionen über den Stand der deutsch-russischen Beziehungen und die weiteren Entwicklungen in der Ukraine geprägt. Die Beiträge aller Teilnehmer waren von dem Bemühen gekennzeichnet, die sehr schwierige Diskussion über die Zukunft der Ukraine zu versachlichen und zugleich eine neue Gesprächsbasis zwischen Deutschland und Russland zu schaffen.
Dabei betonte der Leiter des Lehrstuhls für Europastudien der Universität Sankt Petersburg, Professor Chudolej, dass „die Ukraine eine freie Wahl getroffen hat“ und fügte an, dass auch die EU in Bezug auf die Ukraine vor allem von eigenen Interessen geleitet sei.
Dem hielt der Bundestagsabgeordnete und Obmann der CDU/CSU für Außenpolitik, Karl-Georg Wellmann, entgegen, dass die EU „über das attraktivere Gesellschaftsmodell verfügt“. Kritisch sah Wellmann allerdings die Äußerungen von EU Präsident Baroso, dass „Russland in der Ukraine nichts mit zu reden hat“. Russland sei „eine europäische Gestaltungsmacht“.
Doch sowohl Wellmann als auch andere deutsche Referenten wie Dr. Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik betonten, dass die Mitgliedschaft der Ukraine in der Zollunion und eine gleichzeitige Assoziierung an die EU sich kaum miteinander vereinbaren lassen. Fischer:“ Es handelt sich hier um die Konkurrenz zweier Wirtschaftsmodelle. Russland hat seinen Nachbarstaaten wirtschaftlich einiges zu bieten, doch es besitzt kaum Softpower.“ Sie lehnte eine Einbeziehung Russlands in Gespräche zwischen der EU und der Ukraine ab, doch befürwortete zugleich einen intensiveren Meinungsaustausch zwischen Russland und der EU.
Professor Barbanov, Leiter des EU Referates der Moskau Staatsuniversität, sah „die Gefahr eines Bürgerkrieges in der Ukraine“. Diese Einschätzung wurde allerdings in ihrer Dramatik nicht von den anderen Diskutanten geteilt. Interessant war Barbanovs Einschätzung, dass nicht Frau Timoschenko, sondern Vitali Klitschko mittlerweile der profilierteste Oppositionspolitiker in der Ukraine sei.
Der frühere Staatsekretär im Auswärtigen Amt und SPD Bundestagsabgeordnete Gernot Erler betonte, dass „die EU eigentlich nichts grundsätzlich gegen eine Zollunion im postsowjetischen Raum haben kann“. Es sei unglücklich, dass die Ukraine vor ein „Entweder/Oder“ sowohl von der EU als auch Russland gestellt werde“
Von mehreren russischen Teilnehmern wurde dabei auch die Idee eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes mit Beteiligung Russlands als europäische Perspektive in die Diskussion eingebracht. Russland verfüge über große finanzielle Ressourcen und einen stark wachsenden Markt und sei daher für die EU der wirtschaftlich interessanteste Partner in Osteuropa.
Neben dem dominierenden Thema der Dreiecksbeziehung zwischen der EU, Russland und der Ukraine kamen aber auch noch andere aktuelle Entwicklungen zur Sprache. So kritisierte Tobias Münchmeyer von Greenpeace Deutschland das russische Vorgehen gegen das Greenpeace Schiff Arctic Sunrise. Es habe sich keinesfalls um einen „Akt der Piraterie gehandelt, denn unsere Leute haben keinerlei Gewalt eingesetzt“. Die russische Reaktion sei daher überzogen gewesen.
Lothar de Maiziere, der Vorsitzende des Petersburger Dialogs, sieht Versäumnisse in der deutschen Visapolitik gegenüber Russland. Doch sowohl er als auch Ulrich Brandenburg, der deutsche Botschafter in Moskau, und der Leiter der Böll-Stiftung in Moskau, Jens Siegert, betonten, dass, trotz aller aktuellen Probleme, „die deutsch-russischen Beziehungen grundsätzlich immer noch gut und konstruktiv sind“. Dieser Einschätzung konnten sich am Ende alle Teilnehmer anschließen. Ein versöhnliches Ende eines sehr spannenden und mitunter auch kontroversen Petersburger Dialoges.