Russlands gerade erst ins Amt berufener neuer Innenminister Boris Gryslow wird das deutsch-russische Forum “Petersburger Dialog” trotz seiner neuen Aufgabe auch weiterhin als einer der beiden Vorsitzender leiten. Mit Gryslow, der bis Mittwoch Vorsitzender der regierungsnahen Dumafraktion “Einheit” (Jedinstwo) war, sprach die Internetzeitung strana.ru.
Frage: Wie entstand die Idee zur Gründung des Forums? Warum findet es in Petersburg und nicht in Moskau oder irgendeiner anderen Stadt in Russland statt?
Gryslow: Ich werde mit der zweiten Frage beginnen. Benannt wurde das Forum nach dem Ort des ersten Zusammentreffens der Teilnehmer – Sankt Petersburg. Thema des Treffens war “Russland und Deutschland an der Schwelle zum 21. Jahrhundert – Blick in die Zukunft.”
Warum die Wahl ausgerechnet auf Petersburg fiel? Weil es Peter I. war, der als Begründer des “Fensters nach Europa” gilt.
Die Initiative zur Gründung des Forums gehört zu den Vereinbarungen zwischen Wladimir Putin und Gerhard Schröder. Unter ihrer beider Schirmherrschaft findet der “Petersburger Dialog” statt, der als gesellschaftliches Forum dem Anspruch seiner Zeit gerecht wird.
Die Konfrontation zwischen beiden Ländern gehört zwar schon längst zur Vergangenheit, doch das historische Gedächtnis mehrerer Generationen wird sich noch lange auf die wechselseitigen Beziehungen auswirken.
Die Schaffung gegenseitigen Vertrauens benötigt unbedingt die Unterstützung der Gesellschaft. Umfragen haben ergeben, dass zwischen Deutschen und Russen noch immer ein gehöriges Maß an gegenseitigem Misstrauen besteht. So vertrauen 57% der deutschen Bevölkerung den Russen nicht und umgekehrt 47% der Russen den Deutschen nicht. Zugegeben, die Zahlen sprechen gegen die Entwicklung einer fruchtbaren Zusammenarbeit.
Aber regelmäßig geführte Gespräche sorgen für einen Dialog zwischen Vertretern der Politik, der Intelligenz und der Wirtschaft mit dem Ergebnis der Annäherung beider Völker. Wir rechnen mit jeweils 50 Vertretern aus Russland und Deutschland, die am Forum teilnehmen werden.
Frage: Soviel wie wir wissen, ist das Ziel des “Petersburger Dialogs” die Aufnahme direkter Gespräche innerhalb der Zivilgesellschaft beider Länder. Bei der Lösung welcher konkret anstehender Probleme könnte der “Petersburger Dialog” Ihrer Meinung nach denn behilflich sein?
Gryslow: Zu Zeiten Gorbatschows und Jelzins spielte der persönliche Faktor in den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland eine starke Rolle. Heute regieren in unseren Ländern rationalistische Politiker, mit anderen außerpolitischen Prioritäten. Unter dieser Bedingung, hat der Dialog zwischen der deutschen und russischen Bürgergesellschaft wieder an Aktualität gewonnen.
Die Tagesordnung des Treffens kann sich natürlich ändern. Wichtig ist, daß die bei der Diskussion erörterten Fragen, der gesellschaftlichen Stimmung Deutschlands und Russlands gerecht werden. Es sollen Fragen sein, die ihren Beitrag zur Beseitigung von Uneinigkeiten oder der Findung von gemeinsamen Standpunkten leisten können. Die direkt anstehenden Probleme haben sich nicht verändert und werden der Reihe nach besprochen. Themen aus der Politik, der Ökonomie, Wissenschaft, Bildung, Kultur und der Massenmedien sind Bereiche der zukünftigen Zusammenarbeit, in denen bestehende Fragen geklärt werden sollen.
Jede Arbeitsgruppe soll den Dialog mit Empfehlungen zu realen gemeinschaftlichen Projekten abschließen.
So soll zum Beispiel das Ziel der Arbeitsgruppe Wirtschaft sein, Hinweise und Empfehlungen zur Aussweitung des Warenaustausches zu geben, gemeinsame Interessenssphären im High-Tech-Bereich ausfindig zu machen und bestehende gemeinschaftliche Projekte zu fördern.
Die Abteilung Wissenschaft und Bildung wird sich mit der Erörterung theoretischer Fragen befassen. Hier könnte ein Thema sein: welche Rolle Deutschland und Russland bei der Schaffung eines Vereinigten Europäischen Bildungsraumes einnehmen. Ganz konkret sollen auch Vorschläge zum Austausch des intellektuellen Potentials beider Länder gemacht werden. Über die Einrichtung von Filialen der Universitäten in den Partnerländern und die Gründung einer Deutsch-Russischen Universität soll gesprochen werden. Im Kulturbereich geht es um neue Jugendaustauschprogramme und das Studium der Russischen bzw. Deutschen Sprache.
Frage: Sind Sie der Meinung, dass die Arbeit des Forums sich auf alle Ebenen der russisch-deutschen Beziehungen auswirken wird?
Gryslow: Russisch-Deutsche-Beziehungen werden in vielem bestimmt durch die gesamteuropäische Politik. Im Laufe hunderter von Jahren hat eben diese gesamteuropäische Politik über Krieg oder Frieden auf unserem Kontinent entschieden.
Heute bringt uns vieles einander näher. Zum einen die Größe der Aufgabe des Wirtschaftsaufbaus, zum anderen die Suche nach dem eigenen “Ich” in einer sich wandelnden Umwelt. Beide Staaten haben sich entscheidend verändert. Obwohl diese Veränderungen in Deutschland das Resultat der Wiedervereinigung war und in Russland umgekehrt aus der Desintegration der ehemaligen Sowjetunion resultierten, verharren beide Gesellschaften in einem ähnlichen moralisch-psychologischem Zustand und durchleben eine Periode geistiger Selbstfindung.
Es gibt weitere gemeinsame Ausgangspunkte, die man nennen könnte. Russland benötigt die Unterstützung Deutschlands in internationalen Wirtschaftsorganisationen und in der G8. Deutschland benötigt seinerseits Russlands Rückhalt, um seine Mitgliedschaft in der UNO zu festigen. Eine gemeinsame Aufgabe ist die Bekämpfung des Internationalen Terrorismus.
Es gibt auch Problementscheidungen, von deren Ausgang, abhängt, ob sich die deutsch-russischen Beziehungen zum Guten oder zum Schlechten wenden. Ich meine damit einige militärische Fragen und zum Beispiel die Rückstände Russlands an Deutschland.
Das Konzept der “gewaltsamen Friedensstiftung”, das Europa – Deutschland eingeschlossen – aufgedrängt worden ist, kann uns nicht wirklich beunruhigen. In Konsequenz der Annahme dieser gewaltsamen Strategie, steht Europa nun mit dem Balkan auf Konfrontationskurs.
Unsere Beziehungen zu Deutschland wird es nicht beeinträchtigen. Es gibt andere Spannungspunkte. Die Verschuldung Russlands zum Beispiel. In einer Zeit wirtschaftlicher Instabilität ist schwer zu sagen, wer stärker von der Zahlungsfähigkeit Russlands betroffen ist – der Schuldner oder der Kreditgeber? Zu Lasten Deutschlands gehen ein Drittel unserer gesamten Auslandsschulden.
Es versteht sich von selbst, daß das Forum nicht alle Fragen lösen wird, die sich im Laufe der Zeit angestaut haben. Es soll die Aufgabe der Zivilgesellschaft sein, eine fruchtbare Zusammenarbeit zu entwickeln. Die Aufgabe der Politiker wird es sein, aus dieser Zusammenarbeit eine gleichberechtigte Partnerschaft zu formen.
Frage: Sie zählen zu den Ideologen der Gestaltung einer russischen Zivilgesellschaft – Halten Sie die russische Zivilgesellschaft für reif genug, gleichberechtigt einen Dialog mit der deutschen zu führen?
Gryslow: Wie ich ja schon gesagt habe, charakterisiert der denkende Teil der Bevölkerung die Gesellschaft in Russland als auch in Deutschland.
Komplexe sind in diesem Punkt unangebracht. Die Elite Russlands war immer auch Teil der politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Elite Europas und stand den deutschen Politikern, Künstlern und Wissenschaftlern in nichts nach. Nebenbei bemerkt, hat die Erforschung der außergewöhnlich starken Wechselwirkungen zwischen deutscher und russischer Kultur heute ihren festen Platz in der Wissenschaft.
Heute gibt es wohl kein Land, in dem die Zivilgesellschaft theoretischen Vorstellungen gerecht wird.
Der “Bürger” tritt sehr unterschiedlich auf auch im Westen. Der Kapitalismus entwickelt sich bei dem einen auf einer Insel und bei dem anderen, so Deutschland in der Umgebung neidischer Nachbarn.
Nationale Besonderheiten und Resourcen spielen natürlich eine Rolle. Erhard war kein Chicago-Monetarist und hat dennoch die Marktwirtschaft in Nachkriegsdeutschland aufgebaut.
Nebenbei bemerkt, ist die Zivilgesellschaft in Deutschland vom historischen Gesichtspunkt aus ja auch nicht unbedingt ausgereift und wie bekannt ist, hat es sie in Ostdeutschland eine Zeit lang überhaupt nicht gegeben.
Die ostdeutsche Zivilgesellschaft ist jung und in Russland ist sie im Aufbau begriffen. Das heißt es gibt für beide Seiten Gesprächstoff – wieso sollte das nicht ein gleichberechtigter Austausch sein können?
Frage: Der Teil Russlands, der geographisch zu Europa gehört, war nie in eine gesamteuropäische Struktur integriert, die “Heilige Allianz” und einige militärische Bündnisse ausgeschlossen, die aber nicht gesamteuropäischen Charakter hatten. Jetzt mit dem neuen russischen Präsidenten beschleunigt sich der Integrationsprozeß. Wie sieht Ihrer Ansicht nach ein Konzept der russisch- europäischen Beziehungen aus, das die Stabilität und Sicherheit Europas gewährleisten kann.
Gryslow: Die Beantwortung diese Frage stößt an die Grenzen des “Petersburger Dialoges”. Nichts desto trotz sieht sich das Forum als aktiver Teilnehmer der zukünftigen Ausarbeitung solch einer Konzeption.
Die europäische Politik Russlands war immer untrennbar mit Deutschland verknüpft – im positiven, wie auch leider im negativen Sinn. Die engen Kontakte, die sich in früheren Zeiten aus militärischen Bündnissen und Handelspartnerschaften ergaben, sind allem zum trotz ist bis heute erhalten geblieben.