Russland.NEWS sprach aus Anlass des 25. Jahrestages der Gründung des Deutsch-Russischen Forums mit dem Vorstandsvorsitzenden, Matthias Platzeck
Das Deutsch-Russische Forum war ein Kind der Euphorie nach der Beendigung des Kalten Krieges und sollte die Kontakte in allen zivilgesellschaftlichen Bereichen fördern. Welche Figur gibt es heute, quasi als junger Erwachsener, ab?
In Anlehnung an einen alten Werbespruch könnte man sagen: Nie war es so wertvoll, wie heute. Ein solches Forum hat immer seinen Wert, aber gerade in Zeiten, da andere Quellen des Miteinanders, des Austausches versiegen, ist es als Brücke zwischen den Menschen beider Länder einfach unschätzbar.
Unsere Mitglieder, ob Deutsche oder Russen, kommen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen und haben ebenso unterschiedliche Sichten und Meinungen.
Aber das Bestreben, Brücken zwischen unseren Völkern zu bauen und begehbar zu halten, eint sie alle.
Inzwischen sind wir eine der ganz wenigen Organisationen, die ihre Verbindungen in die Russische Föderation auf verschiedenen Feldern – Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Bildung – über diese Jahre nicht nur aufrecht erhalten, sondern auch ausgebaut haben. Auf diese Weise beleben wir die Funkstille in der großen Politik und wehren uns gegen die zunehmende Entfremdung zwischen den Menschen unserer Länder, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich konstatierte und die, wie er sagte, gerade wir Deutschen angesichts unserer Geschichte mit Russland, nicht zulassen dürfen. Dem fühlen wir uns verpflichtet.
Sie haben vor fünf Jahren den Vorsitz des Deutsch-Russischen Forums übernommen. Kurz darauf verschlechterten sich durch die bekannten Ereignisse die Beziehungen von Deutschland und der EU mit Russland dramatisch. Was würden Sie dennoch als Erfolge verbuchen?
Ich habe mir damals diese Aufgabe bestimmt etwas einfacher vorgestellt, aber mit vielen Gleichgesinnten ist es uns gelungen, Stillstand zu verhindern. Als Beispiel will ich nur das erfolgreiche Jahr der regionalen und kommunalen Zusammenarbeit nennen, dessen Träger das Deutsch-Russische Forum war. Bei der Abschlussveranstaltung kürzlich in Berlin mit über 1.000 Teilnehmern zeichneten die Außenminister beider Länder, Lawrow und Maas, die besten der vielen Hundert gemeinsamen Projekte aus. Genauso wichtig ist es uns, der Jugend beider Länder zu ermöglichen, einander kennenzulernen und gemeinsame Projekte zu verwirklichen. Am vergangenen Wochenende diskutierten in Moskau junge Wissenschaftler, IT-Spezialisten, Journalisten und Politiker im Rahmen der Potsdamer Begegnungen beim III. deutsch-russische Jugendforum zum Thema „Schöne neue Welt? Digitale Zukunft als Chance für deutsch-russische Zusammenarbeit“ und im Europapark Rust fand der Endausscheid des Wettbewerbes „Spielend Russisch lernen“ statt, an dem sich rund 200 Schulen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beteiligt haben. Weitere Beispiele sind die deutsch-russische Karrierebörse oder die Young-Leader-Seminare
Die Teilnehmer an diesen Programmen, vor allem aus Russland, beklagen oft die bürokratischen Hindernisse bei der Visaerteilung und die zum Teil langen Anfahrtswege zu den Vergabestellen. Auf dem jüngsten Petersburger Dialog haben Sie und der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses, Ronald Pofalla, Erleichterungen für junge Menschen angeregt. Wie schätzen Sie die Chancen dafür ein?
Es stimmt, wir haben Visa-Erleichterungen bei Personen bis zu einem Alter von 25 Jahren vorgeschlagen. Ich bemühe mich bereits seit Jahren darum, denn ob bei Städtepartnerschaften, dem Schüleraustausch oder anderen gemeinsamen Veranstaltungen steht die Visafrage immer ganz oben.
Wir wissen natürlich, dass dies keine deutsche, sondern eine EU-weite Entscheidung sein muss. Aber ich kann mir eigentlich kaum vorstellen, dass eine solche Initiative Deutschlands in der EU auf großen Widerstand treffen würde. Denn diese jungen Menschen sind nicht aktiv an den bestehenden Konflikten beteilig und haben wohl kaum Verbindungen zur organisierten Kriminalität, ein immer wieder angeführtes Argument gegen Visaerleichterungen.
Insofern hoffe ich, dass bei den Verantwortlichen der gesunde Menschenverstand und politische Weitsicht obsiegen wird und man eine für beide Seiten annehmbare Lösung findet.
Sie werden oft als „Russland-Versteher“ bezeichnet. Wie stehen Sie dazu?
Was ist eigentlich schlecht daran, verstehen zu wollen, was warum in Russland geschieht? Das bedeutet doch nicht, mit allem einverstanden sein. Dass der Begriff „Russland-Versteher“ heute meist abwertend gebraucht wird, zeigt einen bedenklichen Mangel an Willen und Fähigkeit, sich ernsthaft über Russland Gedanken zu machen, wirklich Wege zueinander zu suchen.
Aber einander zu verstehen, heißt vor allem, mehr über einander zu wissen, einander ernst zu nehmen und mit Respekt zu begegnen.
Auf einer Veranstaltung in Köln sprach kürzlich eine Abiturientin über eine Reise ihrer Klasse nach Wolgograd. Die Schüler hatten sich anhand von Medienberichten, wie sie meinten, gründlich auf den Russland-Besuch vorbereitet. Aber, was sie dort an Herzlichkeit und Offenheit erlebten, hat sie doch überrascht. „Wir sind in ein ganz anderes Land gekommen, als wir uns vorgestellt hatten“, gab sie zu.
Dieses Informationsdefizit auszugleichen, sehe ich als eine der wichtigsten Aufgaben des Deutsch-Russischen Forums an.
Wo sehen Sie die deutsch-russischen Beziehungen in 25 Jahren?
Ich bin sicher, dass bis dahin wieder Vernunft und guter Wille zwischen unseren Staaten die Politik bestimmen, wobei diese Beziehungen noch stärker als heute Bestandteil des Verhältnisses zwischen der Europäischen Union und der Euroasiatischen Wirtschaftsunion EAEU sein werden.
Der ökonomische Wettbewerb in der Welt wird sich weiter verschärfen und ein gemeinsamer Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon hätte beste Aussichten, hierbei zu bestehen.
Vor allem aber hoffe ich, dass sich die Menschen in unseren Ländern bei immer mehr Gelegenheiten vertrauensvoll und freundschaftlich begegnen. Dazu wird das Deutsch-Russische Forum weiterhin seinen Beitrag leisten.
(Das Interview führte Hartmut Hübner/russland.NEWS)