Nachbetrachtung zum 18. Petersburger Dialog – einzigartiges Format mit internationalem Modellcharakter

Nachbetrachtung zum 18. Petersburger Dialog – einzigartiges Format mit internationalem Modellcharakter

„Ich war das dritte Mal beim Petersburger Dialog. Nach einer längeren Pause seit meiner ersten Teilnahme bemerkte ich im vergangenen Jahr in Moskau eine große Angespanntheit angesichts der aktuellen Probleme. Dieses Mal fiel mir die von Anfang an konstruktive Atmosphäre, das Bemühen um gegenseitiges Verstehen angenehm auf“ gab Stefan Liebig, außenpolitischer Sprecher der Partei DIE LINKE im Bundestag die allgemeine Stimmung wieder.

Wesentlich dazu beigetragen hatte, dass zum ersten Mal nach 2013 wieder Regierungsmitglieder aus beiden Ländern den zivilgesellschaftlichen Dialog mit rund 350 Teilnehmern eröffneten.

Zwar hatte zuvor der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses, Ronald Pofalla, noch den akkreditierten 150 Medienvertretern ins Aufnahmegerät diktiert, dass bei allen positiven Momenten der Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Staaten, die deutsche Haltung zu den Sanktionen unverändert ist.

Sein Pendent von r0ssischer Seite, Viktor Subkow betonte, dass dieses Format international einzigartig sei und ein Modell auch für andere Regionen sein könnte. Die zunehmende Zahl von Projekten werte den Petersburger immer weiter auf.

Als kurz darauf der deutsche Außenminister Heiko Maas vorrechnete, dass er sich mit dem „lieben Sergej“ schon das siebte Mal in den bisher anderthalb Jahren seiner Amtszeit zu Gesprächen unter Zwei trifft, wurde schon deutlich, dass auch die deutsche Seite auf das Positive in den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland setzt. Selbst wenn es der deutsche Chefdiplomat in dieser Zeit noch nicht gelernt hat, den Namen seines russischen Amtskollegen auf der zweiten Silbe zu betonen, statt auf der ersten.

Das mag daran liegen, dass er, wie Maas einräumte, aus einer Gegend stammt, in der es zu Russland früher kaum Berührungspunkte gab. Immerhin betonte auch er die gemeinsamen Bemühungen Russlands und Deutschland bei der Lösung internationalen Konflikte, wie in Syrien oder im Iran, wenn auch mitunter aus gegensätzlichen Positionen.

Der Außenminister der Russischen Föderation bescheinigte wiederum seinem „Freund Heiko“, dass Deutschland, wie kaum ein anderes Land mit Initiativen zur Lösung internationaler Spannungen auftritt und schlug vor, dass sich beide Länder als Lokomotiven vor den Zug auf dem Weg zu einer sicheren Welt spannen sollten.

Noch deutlicher wurde der Ministerpräsident des gastgebenden Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, der sich schon zwei Jahre lang um die Ausrichtung des Petersburger Dialogs bemüht hatte. Er erinnerte an die 27 Millionen Toten, welche die Sowjetunion im zweiten Weltkrieg durch den Überfall Deutschlands zu beklagen hatte und würdigte den Großmut, mit dem das sowjetische Volk den Deutschen die Hand zur Versöhnung reichte. Aus der leidvollen Erfahrung erwachse die gemeinsame Sehnsucht nach Frieden. Heutzutage sei es deshalb, trotz gegensätzlicher Positionen in einigen Fragen, auch nützlich, Russland aufmerksam zuzuhören.

Teltschik: Der Frieden ist unsicherer als im Kalten Krieg

In zehn Arbeitsgruppen wurde am zweiten Tag darüber gesprochen, wie die Zivilgesellschaften beider Länder dazu beitragen können, die deutsch-russischen Beziehungen unterhalb der großen Politik mit Leben zu erfüllen.

Voller Spannung wurde dabei auf Arbeitsgruppe „Politik“ geblickt, deren lautstarke, von beiden Seiten hartleibig geführte Auseinandersetzungen im vergangenen Jahr in Moskau den Sinn der Veranstaltung als Dialog ernsthaft in Frage stellte. Diesmal ein ganz anderes Bild: Die beiden Vorsitzenden Prof. Dr. Carlo Masala von der Bundeswehrakademie näherte sich dem Thema von der militärpolitischen Seite. Das ganze Gerede von einer Rüstungskontrolle sei unter den heutigen Bedingungen Unsinn, wie das bevorstehende endgültige Aus von Abrüstungsverträgen zeige. Deshalb sei auf der großen politischen Ebene auf absehbare Zeit keine wirkliche Annäherung zu erwarten. Der ehemalige Kanzlerberater und Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz, Prof. Dr. Horst Teltschik,  bestätigte aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung, dass heutzutage der Frieden unsicherer sei als in den dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges.

Dem stellte der Mitvorsitzende der Arbeitsgruppe, Prof. Dr. Wjatscheslaw Nikonow, Vorsitzender des russischen Staatsduma-Ausschusses für Bildung und Forschung eine Auflistung von zehn wichtigen Maßnahmen entgegen, wie Deutschland und Russland gemeinsam zum Frieden in der Welt  und zur Regelung regionalen Konflikte, wie in der Ukraine und Syrien, beitragen können. Dazu gehören das konsequente zivilgesellschaftliche Eintreten für die Verlängerung der Rüstungskontrollverträge, für einen freien Welthandel, für Cybersicherheit, für die Einhaltung der Minsker Vereinbarung zum Ukraine-Konflikt und die Erhaltung des Verbots der Weitergabe konventioneller Waffen an Beteiligte in regionalen Konflikten.

Wer nun eine heftige Auseinandersetzung mit gegenseitigen Schuldzuweisungen erwartet hatte, wurde zumindest überrascht. Die Diskussion hangelte sich an diesen zehn Punkten entlang, mit denen sich im Wesentlichen alle einverstanden erklärten. Selbst der frühere Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung zeigte sich bereit, konstruktiv über die zehn Punkte zu diskutieren, auch wenn er die größeren Pflichten auf der russischen Seite sah. Am Ende stimmten alle dem Vorschlag der Leiterin der Moskauer Filiale der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Kerstin Kaiser, zu, den Zehn-Punkte-Katalog als Grundlage für die Tätigkeit der Arbeitsgruppe zwischen den Jahrestagungen zu nehmen. Gleichzeitig sei zu überlegen, ob im kommenden Jahr nicht gemeinsame Beratungen mit anderen Arbeitsgruppen, in denen ähnliche Themen behandelt würden, sinnvoll seien.

Am Ende lobten alle Teilnehmer die ausgesprochen konstruktive Atmosphäre der Diskussion

Die Studentin Annemaria Polheim, Mitarbeiterin der Stiftung Deutscher Jugendaustausch gab zu: „Ich bin mit einigem Bammel in diese Gruppe gegangen, weil ich von den heftigen Auseinandersetzungen vor allem im letzten Jahr gehört hatte. Aber auch ich erhielt Zustimmung für meine vorgetragenen Bedenken der jungen Generation hinsichtlich der zunehmenden Kriegsgefahr und auch beim Kampf gegen die menschengemachten Klimaveränderungen einen vorderen Platz in dem zehn Punkte Plan einzuräumen.“

Forderung nach Visafreiheit für junge Leute

In der Arbeitsgruppe „Zivilgesellschaft“ war die Gleichstellung von Mann und Frau ein Gegenstand der Diskussion. „Es ist schade, dass wir heute noch darüber diskutieren müssen“, meint Dr. Jelena Hoffmann, Vorsitzende der Stiftung West-Östliche Begegnungen. „Ich habe in einer anderen deutschen und in der sowjetischen Gesellschaft erlebt, dass die Gleichberechtigung nicht nur gesetzlich geregelt, sondern auch praktiziert wurde.“

Stefan Liebig: „Für mich war interessant, dass es teilweise Uneinigkeit nicht nur zwischen den Teilnehmern aus beiden Ländern gab, sondern auch innerhalb der Delegationen, beispielsweise bei der Frauenquote in Führungspositionen.“

Ein konkretes Ergebnis der Arbeitsgruppe war ein Brief an die Bundesregierung mit dem Vorschlag, Jugendliche unter 25 Jahren von der Visapflicht für die Einreise nach Deutschland auszunehmen. Bereits im Vorfeld hatte Außenminister Maas angedeutet, dass solch ein Vorschlag, nach mehreren vergeblichen Anläufen, nun eine echte Chance auf Umsetzung hat. Man habe die Widerstände im Kabinett endlich überwinden können, womit er offensichtlich die Bremsversuche aus dem Innenministerium meinte. Damit dürfte dann auch endgültig Schluss sein mit den schikanösen Praktiken der deutschen Bundespolizei, wie sie Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Petersburger Dialogs bei der Passkontrolle am Flughafen erlebten.

Nächstes Mal im Süden Russlands

Die deutsch-russische Zusammenarbeit im Bereich Medizin entwickelt sich zum beiderseitigen Vorteil fasste Prof. Dr. med. Helmut Hahn die Ergebnisse des Austauschs in seiner Arbeitsgruppe zusammen. Vor allem das Koch-Metschnikow-Forum, dessen Vorsitzender er ist, realisiert Projekte in der Russischen Föderation in 14 Fachrichtungen. „Beim nächsten Petersburger Dialog werden wir auch das Thema Reisemedizin besprechen, dass angesichts zunehmender Reisen in den asiatischen Teil Russlands immer mehr an Bedeutung gewinnt“, erklärte Hahn , der auch ausländisches Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften ist..

Auch in den anderen Arbeitsgruppen, so zu Themen der Wirtschaft, der Ökologie, der Kultur und Kunst und oder der Kirchen wurde ergebnisorientiert gearbeitet, wie Ronald Pofalla, bei der Abschlussveranstaltung des 18. Petersburger Dialogs erklärte.

Der russische Vorsitzende des Lenkungsausschusses, Viktor Subkow, kündigte an, dass der Petersburger Dialog im kommenden Jahr in der Region Krasnodar im Süden Russlands stattfinden wird.

[hh/russland.NEWS]