[Dresden/Petersburger Dialog]
Eigentlich waren die russischen und deutschen Journalisten am Dienstag nach Dresden gekommen, um über Medienberichterstattung „zwischen Kulturkampf, Terrorismus und Pressefreiheit“ zu diskutieren.
Es war eines der Top-Themen beim so genannten Petersburger Dialog. Durch den Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja erhielt das Thema jedoch aktuelle Brisanz. „Russland ist nach wie vor ein Land, wo es gefährlich ist, als Journalist zu arbeiten“, sagte Alexander Gorbenko von der „Redakzia Rossijskoj Gasety“ auf dem deutsch-russischen Diskussionsforum. Der Mord an der Journalistin überschattete nicht nur die Runde der Medienexperten. Auch beim anschließenden Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sollte das Thema zur Sprache kommen.
Seit dem Regierungswechsel in Berlin hat sich der Akzent im Ton der deutsch-russischen Beziehungen verändert. Schon bei ihrem Antrittsbesuch bei Putin im Januar hatte Merkel heikle Menschenrechtsfragen angesprochen und sich für die unabhängige Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stark gemacht. Auch diesmal wollte die Kanzlerin in ihrem Gespräch mit Putin die aktuellen Entwicklungen in Russland zur Sprache bringen.
Im Fall der am Samstag in Moskau erschossenen Journalistin Politkowskaja, die sich mit ihrer mutigen Berichterstattung vor allem über den Tschetschenienkrieg einen Namen gemacht hatte, sagte Putin zumindest eine „objektive“ Untersuchung zu. Die Ermittler ergriffen alle „erforderlichen Maßnahmen“, um die Umstände des „tragischen Todes“ zu erhellen, hieß es am Montag in einer Erklärung des Kreml.
Doch der Schock über den Mord an Politkowskaja saß tief bei den in Dresden versammelten russischen Kollegen. Gorbenko sprach von einer „Tragödie“ für alle Journalisten in Russland. Davon wollen sich die Medienleute aber nicht lähmen lassen. „Wir dürfen der Angst nicht nachgeben, sondern müssen unsere Ideale hochhalten“, sagte Dimitri Solotow, Chefredakteur von „Russia Profile“, obwohl er Zweifel äußerte, dass die Mörder von Anna Politkowskaja jemals auf der Anklagebank sitzen werden.
Auch von dem mit Spannung erwarteten Abschlussplenum des Petersburger Dialogs am Dienstagnachmittag wurden kritische Töne erwartet. Neben Merkel und Putin gehörten Vertreter der beiden wichtigen russischen Menschenrechtsgruppen Memorial und Institut Nationales Projekt Gesellschaftsvertrag zu den Teilnehmern; aus Deutschland waren Vertreter von Amnesty International geladen. Memorial hat sich in der Vergangenheit durch seine Recherchen und Analysen zur Menschenrechtssituation in Russland einen Namen gemacht und auch immer wieder unabhängige Beobachter in Konfliktgebiete, vor allem nach Tschetschenien, geschickt. Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen hatte zuvor an Merkel appelliert, von Putin mehr Presse- und Medienfreiheit einzufordern.
Für den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), ist der „politische Mord“ an Politkowskaja allerdings „nur die Spitze des Eisbergs“. Es werde deutlich, wie die Presse- und Meinungsfreiheit in Russland gefährdet sei. Laut Nooke werden innerhalb der russischen Föderation „Menschenrechte regelmäßig verletzt“. In recht deutlichen Worten hatte auch ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin bereits im Vorfeld des Dresdner Treffens klar gemacht, dass es Aufgabe jeder Regierung sei, dafür Sorge zu tragen, dass in einem Land kein Klima der Angst entsteht, in dem Pressefreiheit sich nicht entfalten könne. Und in Dresden ermahnte der Chefredakteur der Zeitung „Iswestja“, Wladimir Mamontow, die versammelten Journalisten: „Ich sage jeden Morgen zu meinen Kollegen: „Hört auf, Euch selbst zu zensieren“.“[Von Andrea Hentschel]