Deutsch-russischer Medien-Dialog in Dresden: Geld heißt soviel wie geprägte Willensfreiheit
[von Daniela Dahn/Petersburger Dialog/Dresden] Bei einem Dialog dürfe nicht einer die Rolle des Lehrmeisters annehmen und dem anderen die des Belehrten zuweisen, mahnt Michail Gorbatschow zur Eröffnung beinahe beschwörend.
Deutschland ist der größte Handelspartner Russlands, die wachsende Verflechtung der Banken wird „positiv begleitet“, die „Energiediskussion funktioniert“ – Grund genug für einen partnerschaftlichen Umgang zumindest in der Arbeitsgruppe Wirtschaft.
Ganz anders geht es in der ebenfalls chefkarätig besetzten Arbeitsgruppe Medien zu. Naheliegend und verständlich, dass alle von dem Mord an Anna Politkowskaja erschüttert sind. Moderator Michael Rutz, Chefredakteur des Rheinischen Merkur, fordert die russischen Teilnehmer nach einer Gedenkminute sofort unumwunden auf, zu den Hintergründen und den Folgen für die Pressefreiheit Stellung zu nehmen. Die Tonlage lässt nichts Gutes ahnen: Würde der staatsanwaltliche Gestus die andere Seite blockieren oder provozieren?
Anton Gubankow vom Staatlichen Rundfunk- und Fernsehsender Sankt Petersburg grüßt den Geßlerhut und versichert, Russland habe sich von den Wurzeln des Totalitarismus getrennt. Es sei kurzschlüssig anzunehmen, ein solcher Mord läge im Interesse von Machthabern, da er dem Image des Landes ungleich mehr schade als jeder noch so kritische Text. Vielmehr sei es nicht auszuschließen, dass Feinde der Regierung den Verdacht auf sie lenken wollten – mit Erfolg. Journalismus sei nicht nur in Russland riskant.
Diesmal auf Wunsch der russischen Gäste erheben wir uns noch einmal zu einer Gedenkminute, nun für die beiden zur gleichen Zeit in Afghanistan umgebrachten deutschen Journalisten, deren Namen offenbar niemand kannte. Die Toten der anderen Seite als letztlich nicht unwillkommene Bestätigung eigener Klischees?
Alle russischen Kollegen sind sich zur Überraschung der Gastgeber einig, dass es keine Zensur mehr gibt. Im Gegensatz zu früher senden inzwischen mehrere tausend Fernsehkanäle, darunter viele kleine lokale, 35.000 Printmedien werden verkauft, davon die Hälfte mit ausländischer Beteiligung. Eine solche Struktur könne unmöglich kontrolliert werden. Allerdings wird mehrfach eingeräumt, jeder Journalist trage einen Zensor in sich selbst. Immer wieder sage ich meinen Leuten, hört auf, euch selbst zu zensieren, behauptet Wladimir Mamontow, Chefredakteur der Iswestija. Aber Macht heiße in Russland auch Eigentum. (Im Gegensatz zu uns, lästert es in mir.) Deshalb hielten es auch Journalisten für ratsam, sich einzuschränken – ein Eingeständnis, das ich von einem deutschen Kollegen nie gehört habe.
Ganz frei ist man als Journalist nur, wenn man wenig verdient, erklärt der populäre Fernsehmoderator Maxim Schewtschenko seinen gutdotierten Gastgebern. Die von ihm verehrte Anna Politkowskaja sei keine Regimekritikerin gewesen, sondern eine hartnäckige Verteidigerin der Würde des Menschen, wo immer nötig. Dass vier von sechs deutschen Zeitungen schon wussten, dass der Kreml die Schuld an ihrem Tod trage, habe ihn allerdings verwundert. Das Arbeiten mit Stereotypen sei Propaganda, schimpft er. Russland werde beschuldigt, ein schreckliches Imperium zu werden. Aber keiner dieser Journalisten habe sich die Mühe gemacht, wenigstens einmal per Telefon zu recherchieren, bei Kollegen oder in Ministerien.
Aus der Dolmetscherkabine erklingt zur Charakterisierung der deutschen Presse das Wort Gleichschaltung und jemand verweist darauf, dass dieser Begriff seit unseligen Zeiten besetzt sei. Doch hartnäckig zeigt sich auch Dmitrij Mesenzew von der Kommission für Informationspolitik überrascht von der Einstimmigkeit der deutschen Zeitungen, ein Erscheinungsbild, das seiner Vorstellung von Pressefreiheit nicht entspricht, weshalb er Belehrungen ablehne.
Nun findet der Moderator den Ton „nicht ganz okay“. Natürlich sei Journalismus nie ganz kommerzunabhängig, aber möglichst frei zu sein, sei doch unser Ziel. Dialog erfordere, nicht einen auf die Anklagebank zu setzen. Jedenfalls nicht den Falschen, ist wohl gemeint.
Da sorgt der langjährige Moskau-Korrespondent Thomas Roth für Ausgleich auf jener Bank: Er telefoniere durchaus mit russischen Kollegen und höre, dass aufklärerischer Journalismus nicht mehr möglich sei. Und in Ministerien habe man, versichert er glaubhaft, noch nie etwas erfahren. Seine These zum Tod von Politkowskaja, die er gut kannte: Es gehe um die Tschetschenisierung der russischen Presse.
Die Wortmeldung der Freitag-Mitherausgeberin wird erst kurz vor Ablauf der vier Stunden, und nur auf Drängen eines Kollegen, beachtet. Und bevor ich noch ein Wort sage, werde ich schon angeherrscht, mich kurz zu fassen. Während ich Grund sehe, keine Selbstgerechtigkeit aufkommen zu lassen – da deutscher Journalismus zwar weniger staatsnah, dafür um so wirtschaftsnaher sei, und investigativer Journalismus sich meist auf Enthüllungsgeschichten über Personen beschränke, wer dagegen versuche, Machtstrukturen in Frage zu stellen mit Ausgrenzung rechnen müsse – werde ich wie zuvor niemand in der 20köpfigen Runde vom Moderator mehrfach unterbrochen. Ich habe Mühe, noch auf das Klima der Einschüchterung zu verweisen, in dem man damit rechnen muss, als freie kritische Stimme keine Aufträge mehr zu bekommen und im Extremfall bespitzelt oder von der Obrigkeit mit Disziplinarbußen belegt zu werden – wie Freitag- und Ossietzky-Autor Jürgen Rose.
Einen besseren Anschauungsunterricht zum Umgang mit Außenseitern hätten sie gar nicht bekommen können, sagt mir später ein russischer Kollege. Am Nachmittag wird gleich neben dem Kongresszentrum in Anwesenheit von Putin und Merkel ein Denkmal eingeweiht. Als das weiße Tuch fällt, kommt darunter ein zerknittertes Männchen zum Vorschein. Es sitzt windschief auf der äußersten Kante des Sockels, nur auf Zehenspitzen gestützt, beständig in der Gefahr, abzurutschen, den Kopf von der Last des Bartes nach unten geneigt, der Fernblick unglücklich. Die Inschrift auf der Vorderseite nur ein Wort: Dostojewski.
Ein Zitat des Dichters, etwa: „Geld heißt soviel wie geprägte Willensfreiheit“, gehörte nicht zum Auftrag des namenlos gehaltenen Bildhauers. Dafür wurde auf der Rückseite gut lesbar eingemeißelt: Unterstützt von Verbundnetz Gas AG. [ Daniela Dahn/Freitag – Die Ost-West-Wochenzeitung ]