[Von Lothar Deeg] – Trotz Krim- und Ostukraine-Krise und der Spannung zwischen NATO und Russland: In ihrer Geburtsstadt St. Petersburg tritt die deutsch-russische Gesprächsplattform am Donnerstag und Freitag wieder zusammen – sogar umfangreicher als je zuvor.
389 offizielle Teilnehmer hat der Petersburger Dialog in diesem Jahr, stellte Viktor Subkow, der russische Co-Vorsitzende des Dialogs beim Auftakt der Veranstaltung am Donnerstag in St. Petersburg fest. Das ist die höchste Teilnehmerzahl in den 15 Jahren des Bestehens des Dialogs, so sein deutscher Counterpart Ronald Pofalla.
Das beweist schon einmal eines: Der Petersburger Dialog als bilaterale Gesprächsplattform auf gesellschaftlicher Ebene ist – trotz der politisch gespannten Lage zwischen West und Ost – nicht tot.
Dialog der Zivilgesellschaften mit Rekordbeteiligung
Es scheint sogar so zu sein, dass beide Seiten in derartigen Krisenzeiten der bilateralen Beziehungen den besonderen Gesprächsbedarf spüren. „Die Zivilgesellschaften sind ein kräftiges Gegengewicht in politischen und wirtschaftlichen Krisensituationen“, so Subkow. 35 Veranstaltungen hätten unter dem Dach des Dialogs im letzten Jahr stattgefunden. Pofalla betonte, dass der Petersburger Dialog erfreulicherweise ein Forum sei, auf dem offen und konstruktiv nicht nur jene Dinge gesprochen werden könne, bei denen man sich einig sei, sondern auch über alles, wo es konträre Ansichten gebe.
Vor Beginn der Veranstaltung hatte der russische Ex-Premierminister, der gegenwärtig auch Aufsichtsratsvorsitzender von Gazprom ist, darauf hingewiesen, dass das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Russland gegenwärtig nur noch halb so hoch ist wie im Rekordjahr 2012 – damals waren es etwa 80 Mrd. Euro. Und die deutsch-russischen Regierungskonsultationen, die einst Rahmen und Aufhänger für den begleitenden „Dialog der Zivilgesellschaften“ waren, liegen gegenwärtig auf Eis. Wladimir Putin und Angela Merkel ließen aber per Grußbotschaften wissen, wie sehr sie diese trotz allem weiter bestehende Gesprächsebene – und ihre Ergebnisse – schätzen.
Zankapfel Krim und andere Sorgen
Seitens der deutschen Seite wurde dabei schon bei der Eröffnung offen gesagt, was Deutschlands Umgang mit Russland gegenwärtig erschwert: „die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die anhaltende Unterstützung Russlands für die Separatisten in der Ostukraine und die schwierige Lage für NGOs und Bürgerrechtler in Russland“ lautet der Kanon. Es sei im übrigen für Deutschland nicht akzeptabel, so Pofalla, dass verschiedene russische Organisationen jetzt versuchen würden, Teilnehmer oder Organisationen von der Krim auf der Schiene von Dialog-Veranstaltungen in die deutsch-russische Zusammenarbeit zu integrieren.
Russische Sprecher blieben dagegen allgemeiner in der Einschätzung der beidseitigen Probleme, sprache von schwierigen Zeiten, verkniffen sich aber konziliant konkrete Vorwürfe gegen die deutsche oder allgmein westliche Seite. Einzig Petersburgs Gouverneur Georgi Poltawtschenko bekam aus dem (mehrheitlich einheimischen) Publikum kräftigen Applaus, als er erklärte, es könne ja nicht sein, dass den Krim-Bewohnern, die beim Referendum zu 95 Prozent für den Anschluss an Russland votiert hätten, nun der Kontakt zu deutschen Partnern oder Altersgenossen vorenthalten werde.
Die Problematik der Krim erscheint allerdings eher zweitrangig angesichts der gegenwärtigen Weltprobleme wie dem Syrienkrieg, dem „Islamischen Staat“, den ökologischen und ökonomischen Bedrohungen. „Russland und Deutschland angesichts globaler Herausforderungen“ heißt dann auch das Motto der Petersburger Konferenz.
In den zehn Arbeitsgruppen von Medien über Wirtschaft zu Kirchen, Kultur, Gesundheit und Wissenschaft werden die Teilnehmer allerdings dann doch eher weniger die globale Perspektive, denn die kleinen Fortschritte und Kontaktebenen im Auge haben, auf denen das deutsch-russische Verhältnis trotz der angespannten Rahmenbedingungen qualitativ und quantitativ verbessert werden kann.
Denn freundschaftliche, vertrauensvolle und intensive deutsch-russische Beziehungen, das wurde auf der Eröffnung nicht einmal gesagt, seien schließlich ein ganz wesentlicher Stabilitätsfaktor, der zumindest in Europa für friedliche Rahmenbedingungen sorgen könne (was ein deutsch-russischer Krieg in der Vergangenheit für beide Länder und die Stadt St.Petersburg im Besonderen bedeutet hat, wurde auch nicht einmal erwähnt). Ein solcher Umgang miteinander löst wohl nicht die globalen Herausforderungen, aber viel wert ist er definitiv auch.
[Lothar Deeg/russland.NEWS]