Der 9. Petersburger Dialog in München

Nachlese von Hanns-Martin Wietek
Der 9. Petersburger Dialog in München, die 11. deutsch-russischen Regierungskonsultationen auf Schloss Schleißheim und das 5. Deutsch-Russische Jugendparlament im Bayrischen Landtag, dem Maximilianeum, sind zu Ende.

Eine Woche war München das Zentrum deutsch-russischer Konsultationen, Beziehungen und Freundschaften. Wie wichtig beiden Ländern diese Konsultationen sind, zeigt, dass Bundeskanzlerin Merkel, Präsident Medwedew, Vizepremier Subkow, Ministerpräsident Seehofer, Lothar de Maizière, Michail Gorbatschow (die Namensliste ließe sich noch endlos fortsetzen) und viele weitere hochrangige Regierungsmitglieder, Vertreter der Kultur, der Wirtschaft, der Medien und der Kirchen beider Seiten teilgenommen haben.
Die Teilnehmerliste liest sich wie ein who is who von Deutschland und Russland. 246 Teilnehmer, davon 127 aus Deutschland und 119 aus Russland.

Und, Petrus muss doch ein Bayer sein – der Himmel war weiß-blau (manchmal auch schwarz-blau mit Blitzen). München machte seinem Ruf, die nördlichste Stadt Italiens zu sein, wieder einmal alle Ehre. Selbst die Bundeskanzlerin ließ sich zu den Worten hinreißen: „Wenn es Ihnen aber in München nicht gefällt, dann weiß ich nicht, wo sonst es Ihnen in Deutschland gefallen soll. Wenn ich als jemand, der von der Ostsee kommt, das sage, dann können Sie davon ausgehen, dass das schon seine Bedeutung hat. Wir da oben im Norden sind nämlich ein bisschen anders, etwas schweigsamer und etwas melancholischer, aber deshalb freut es uns immer, wenn wir in Bayern zu Gast sein können.“
In der Münchner Stadtverwaltung hingegen scheinen einige geschlafen zu haben: In ganz München fand sich keine einzige russische Fahne – und das in München, das doch sonst so fahnenfreudig ist –, und der Bayrische Landtag hatte seine russische Fahne wohl auch zum Waschen gegeben, denn nicht einmal zur Eröffnungsrede des Jugendparlaments von Landtagspräsidentin Stamm war eine solche aufgezogen.

Das Rahmenprogramm für die Teilnehmer war – ganz der bayrischen Gastlichkeit entsprechend – ohne Frage vorzüglich und wurde entsprechend von allen Seiten gelobt – Medwedew meinte gar, das könne man sich nur leisten, wenn man den nächsten Tag auf Essen ganz verzichtet.
Das sich üblicherweise über Wochen erstreckende Beiprogramm mit Ausstellungen, Konzerten, Diskussionsforen und weiteren Veranstaltungen mit deutsch-russischem Bezug war dagegen eher kläglich bis nicht vorhanden (der Hinweis, dass München relativ kurzfristig als Standort ausgewählt worden sei, ist da sicher eine Ausrede). Gerade diese sind es aber, die in der Bevölkerung das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Beziehungen zwischen beiden Ländern wecken und stärken sollen. Dass dies notwendig ist, hat eine von russland.ru durchgeführte ad hoc Umfrage in der Münchner Innenstadt während des Petersburger Dialogs gezeigt: Von 25 befragten Einheimischen aller Altersklassen (Touristen wurden nicht befragt!) wusste nur einer etwas mit dem Begriff Petersburger Dialog anzufangen und dessen Aussagen waren zudem etwas wage. Es wäre ganz offensichtlich angebracht, dass sich die Organisatoren des Petersburger Dialogs Gedanken machen, wie sie das Image des Dialogs heben bzw. seine Wichtigkeit und seine Aufgaben und Zielvorstellungen in der Bevölkerung deutlich machen können.

Die von Lothar de Maizière resignierend hervorgebrachte Bemerkung, dass die Presse den Dialog leider kaum beachte, ist von der Sache her zwar richtig, von der Intention her jedoch falsch: Die Presse berichtet über das, was die Leser wissen wollen; es ist Aufgabe des Petersburger Dialogs, die Menschen auf sich aufmerksam zu machen, nicht die der Presse. Eine Öffentlichkeitsarbeit des Petersburger Dialogs gibt es aber leider nicht. Würde der Petersburger Dialog von der Öffentlichkeit getragen werden, wäre seine Durchsetzungskraft sicher noch erheblich größer und dauerhafter.
Des Weiteren würde die Presse ganz sicher eher und vor allem schneller berichten, wenn die Pressestelle, wie allerorten üblich, während des Dialogs Pressemeldungen – und zwar in digitaler Form – über den Stand der Verhandlungen herausgäbe. Welches Medium ist heute schon in der Lage mit einer Crew von mehreren Leuten anzurücken, um permanent aktuell zu berichten? Und hier gilt die alte Journalistenweisheit „Nichts ist älter, als die Nachricht von gestern!“

Den 9. Petersburger Dialog kann man getrost als einen vollen Erfolg bezeichnen.
In freundlicher, ja herzlicher Atmosphäre wurden die Themen der Arbeitsgruppen unter dem Hauptthema „Wege aus der Krise aus Sicht der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands“ diskutiert. Nichts war mehr von einer gewissen Reserviertheit des 8. Treffens in St. Petersburg zu spüren, als der Dialog von der Georgien- und der Ölkrise belastet war. Die meistgebrauchten Worte in den Besprechungen – so de Maizière – waren Vertrauen, Transparenz, Information und Zusammenarbeit.

Die beiden Festvorträge zur Eröffnung des Petersburger Dialogs wurden von Professor Otmar Issing, dem Vorsitzenden der von der Bundesregierung eingesetzten Expertengruppe „Neue Finanzarchitektur“, und von Professor Piotrowski, dem Direktor der Staatlichen Eremitage St. Petersburg, gehalten.
Professor Issing ging auf das Entstehen der Finanzkrise ein, wobei er aufzeigte, dass viele die Krise hätten und haben kommen sehen. Er warnte davor, die Krise allzu schnell zu vergessen und wieder dort weiterzumachen, wo wir vor der Krise standen. Es bedürfe unbedingt neuer Regeln, die auch ethisch und moralisch begründet sein müssen und er warnte davor, die sozialen Aspekte zu vernachlässigen.
Professor Piotrowski besah die Krise aus russischer, besonders kultureller Sicht. Er machte deutlich, dass viele in Russland – ganz nach Marx – die Krise als eine Krise des kapitalistischen Systems sähen und dass kulturelle und geistliche Maßstäbe in Russland angelegt würden. Er verlangte vehement, die sozialen Aspekte bei der Bewältigung der Krise miteinzubeziehen.

Die einzelnen Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit folgenden Themen:

1. Politik
Das Europäische Haus vom Atlantik bis Wladiwostok. Traum (1990) und Wirklichkeit (2009)
Koordinatoren:
Dr. Thomas Kunze, Leiter der Abteilung Europa/Nordamerika – Hauptabteilung. Internationale Zusammenarbeit, Konrad-Adenauer-Stiftung
Wladislaw Terechow, Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter a.D.

2. Wirtschaft
Krisenmanagement von Staat und Wirtschaft. Perspektiven der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen
Koordinatoren:
Prof. Dr. Klaus Mangold, Vorsitzender, Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft
Waleri Golubjew, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands, Gazprom

3. Zivilgesellschaft
Fragen und Aufgaben der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit
Koordinatoren:
Dr. Ernst-Jörg von Studnitz, Botschafter a. D.; Vorsitzender des Vorstands, Deutsch-Russisches Forum e.V.
Ella Pamfilowa, Vorsitzende des Rates für die Mitwirkung an der Entwicklung der Institute der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte beim Präsidenten der RF

4. Bildung, Wissenschaft und Gesundheitsvorsorge
Wege aus der Krise – Der Beitrag von Bildung und Wissenschaft
Koordinatoren:
Prof. Dr. Wilfried Bergmann, Stellvertretender Generalsekretär, DAAD
Prof. Dr. Igor Gorlinski, Prorektor für wissenschaftliche Arbeit, Staatliche Universität St. Petersburg

5. Kultur
Russische Avantgardearchitektur und Deutsches Bauhaus sowie Deutsch-Russische Filmkooperationen
Koordinatoren:
Prof. Dr. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident, Goethe-Institut
Prof. Dr. Michail Piotrowski, Direktor, Staatliche Eremitage

6. Medien
Koordinatoren:
Prof. Michael Rutz, Chefredakteur, Rheinischer Merkur
Dmitri Mesenzew, Gouverneur des Gebiets Irkutsk

7. Zukunftswerkstatt
Perspektiven für die Evolution der politischen Systeme in Deutschland und Russland als Folge der Krise
Koordinatoren:
Alexander Rahr, Programmdirektor Russland/Eurasien, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.
Natalja Tscherkessowa, Generaldirektorin, Presseagentur Rosbalt

8. Kirchen in Europa
Der Beitrag der Kirchen zur Frage nach einer gerechten, nachhaltigen und menschenwürdigen Wirtschaftsordnung
Koordinatoren:
Dr. Johannes Oeldemann, Direktor, Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik
Erzbischof Longin von Klin, Ständiger Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche in Deutschland

In der Plenarsitzung am Schluss des Petersburger Dialogs, im Antiquarium der Münchner Residenz wurden Bundeskanzlerin Merkel und Präsidenten Medwedew die Ergebnisse der Gespräche und daraus resultierende Forderungen vorgetragen:
Einhellig wurde von allen Arbeitsgruppen die Aufhebung – zumindest jedoch deutliche Erleichterung – der Visumspflicht verlangt. Besonders von deutschen Teilnehmern wurden wiederholt die menschenunwürdigen Verhältnisse bei der Visumvergabe an russische Bürger moniert. Auf der russischen Seite herrsche bei der Registrierung von deutschen Geschäftsleuten dringender Handlungsbedarf.
Weitere Ergebnisse und Forderungen in Stichpunkten:
Wir bedürfen dringend einer neuen Sicherheitsstruktur zwischen Europa, USA und Russland; Horst Teltschik bedauerte, dass dies 1990 versäumt worden sei. Die deutsche Seite war der Meinung, dass dies nur unter Einbeziehung des NATO-Rates gelingen könne.
Man stellte fest, dass Russland und Deutschland bei der Bewältigung der Finanzkrise gut vorangekommen seien, letztlich auch dank eines gemeinsamen Verständnisse.
Der Finanzbereich dürfe in Zukunft nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen agieren.
Es gibt keine Eigenwege aus der Krise.
Ein neues Regelwerk für Energieabkommen sei notwendig, sozusagen eine neue Energiecharta.
Deutschland solle den WTO-Beitritt Russlands unterstützen.
Die Zivilgesellschaft und deren Institutionen sind wichtig für die Überwindung der Krise.
Ein gemeinsames Geschichtsbuch solle – ähnlich dem deutsch-französischen Projekt – für die höheren Klassen erarbeitet werden.
Um nachhaltig die Beziehungen zwischen deutschen und russischen Menschen zu fördern, bedarf es einer deutlichen Erweiterung des Jugendaustausches.
Ein deutsch-russische Filmkooperationsabkommen liege vor, auf russischer Seite bewege sich jedoch nichts.
Eine gemeinsame Filmakademie solle gegründet werden.
Gemeinsam solle die Avantgarde (Bauhaus) Architektur geschützt werden. Beispiel Fabrik „Rote Fahne“.
Eine neue Ausstellung zur Bronzezeit solle gemeinsam angegangen werden. Sie könne beitragen zur Einigung über „kriegsbedingt verlagerte Kunstwerke“ (zu Deutsch: Beutekunst).
Die Kirchen fordern ethische Maßstäbe bei der Globalisierung ein und betonen das christliche Verständnis von Eigentum, dass Eigentum nicht eine persönliche Anhäufung von Besitz ist, sondern einen sozialen Charakter hat.
Der Bedarf an gesellschaftlichen Engagement wachse.
Die russische NGO-Gesetzgebung müsse überarbeitet werden.
Die rasanten Veränderungen auf dem Medienmarkt machen neue Wege notwendig. In Deutschland sei darüber nachzudenken, ob nicht Zeitungen ebenfalls einen öffentlich-rechtlichen Status bekommen sollen. An dieser Stelle warf Medwedew ein, dass Russland da Deutschland helfen könne, da es auf diesem Gebiet reichlich Erfahrung habe, was wiederum de Maizière zu der Replik veranlasste, dass damit keine Verstaatlichung gemeint sei.
Gemeinsam anerkannte Masterstudiengänge Journalismus seien in Vorbereitung und der Gouverneur von Irkutsk sei zu einer Anfangsfinanzierung bereit.
In Russland werde der 2. deutsch-russische Journalistentag abgehalten, und der Gouverneur von Irkutsk habe alle Teilnehmer des Petersburger Dialogs zu einer Winterreise nach Sibirien eingeladen.
Ein deutsch-russischer Beirat zur Stipendienvergabe wurde gefordert.
Städtepartnerschaften weiter fördern, sie stagnieren zurzeit.

Im Rahmen des Petersburger Dialogs wurden u.a. folgende Abkommen unterzeichnet.

Der Vorstandsvorsitzende der Fraport AG, Prof. Dr. Wilhelm Bender, und die Gouverneurin der Stadt St. Petersburg, Valentina Matvienko, haben im Rahmen des Petersburger Dialogs 2009 in München im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew ein „Memorandum of Understanding“ (MoU) unterzeichnet. Die Absichtserklärung drückt das Bestreben der Stadt St. Petersburg und der Fraport AG aus, die Verhandlungen über den Konzessionsvertrag zur Entwicklung, Modernisierung und zum Betrieb der Anlagen des Flughafens Pulkovo zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

Die Deutsche Bahn und die Russische Bahn (RZD) haben ein gemeinsames Center für Internationale Logistik und Supply Chain Management in St. Petersburg gegründet. Entsprechende Verträge sind von den Vorstandsvorsitzenden beider Bahnen, Rüdiger Grube und Wladimir Jakunin, am Rande des 9. Petersburger Dialog in München, im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, unterzeichnet worden.
Ziel der beiden Bahnen ist es, mit dem Logistikcenter an der Graduate School of Management der St. Petersburger State University (GSOM) ein Kompetenzzentrum für anwendungsnahe Forschung zu innovativen Themen aus dem Bereich Logistik und Supply Chain Management aufzubauen. Wesentliche weitere Schwerpunkte sind darüber hinaus die akademische Ausbildung von Studenten im Rahmen von Bachelor- und Masterprogrammen sowie die Fort- und Weiterbildung von Mitarbeitern beider Bahnen. Geplant ist, an dem Center eine Senior- und eine Juniorprofessur zu stiften. Die Kooperation ist zunächst auf fünf Jahre ausgerichtet.

Wie es sich in Bayern gehört, gingen Bundeskanzlerin Merkel, Präsident Medwedew und Ministerpräsident Seehofer zum Abschluss ihrer Konsultationen noch einmal schnell nach schräg gegenüber, um ihre Arbeit zu begießen – was bei der herrschenden Hitze sicher auch ganz verständliche Gründe hatte. Die Wagenkolonne, die alles rund um Residenz verstopfte, war beeindruckend und trotz der Hitze harrten viele aus, um noch einen Blick auf Medwedew zu werfen, und das waren nicht nur Russen.
[ Hanns-Martin Wietek / russland.RU ]